Mittwoch, 8. Oktober 2008

Herrenjournal VII: Was gibt es heute für Revers?

1. Kerbrevers mit langem Aufschlag; 2. "Knizerevers" mit abbrechender Spiegelnaht; 3. Fallende Revers in der gestutzten Mayerlingform

"Die Frage der Revers - in den letzten Jahrzehnten durch die einreihige und zweireihige Schablone beinahe ganz unkompliziert -beginnt neuerdings wieder recht interessant zu werden. Fast wie in der Zeit zwischen Empire und Zweitem Kaiserreich, als sich die Phantasie zwischen Kragengrenze und Rockaufschlag in vielerlei Einschnittsformen auslebte. Denn schon gibt es heute bei den Revers für den sachverständigen Blick des Fachmannes wieder rund 20 Variationen.
Gegenüber der Biedermeierzeit sind diese aber nicht Produkte eines augenblicklichen Einfalls, der sie bald hier bald da verwendet, sondern in der Hauptsache aus stilistischen Erwägungen heraus geboren. Ganz unwillkürlich hat sich das ergeben, nachdem in den letzten Saisons besonders bei den Jacketts allerlei Fassons hinzugekommen sind, mit neuen Ansprüchen und Ideen, und man auf diese Weise die Details bei den einzelnen Anzugarten genauer präzisiert und gegeneinander abgregrenzt hat. Die Revers aber sind bei dieser Differenzierung eines der markantesten Mittel, denn die Skizzierung ihrer Fasson genügt bereits als Anhaltspunkt dafür, mit welcher Art Kleidungsstück man es zu tun hat. Wohlgemerkt, bei etwa zwanzig verschiedenen Reversformen.


4. Golfrevers mit angeschnittener Lasche; 5. Sliponrevers

Besonders interessant ist diese kleine Reversgrammatik jetzt dadurch geworden, daß es sich allmählich als zweckmäßig erwiesen hat, für die einzelnen Reversarten nach bestimmten Namen zu suchen, durch die man sie ohne weiteres voneinander unterscheiden kann. Und zwar ganz unabhängig von dem modischen Moment, das bei den Revers selbstverständlich auch häufig wechselt - hier beispielsweise bald "Kehlrevers", bald "Bogenrevers" propagiert - und das oft genug zum charateristischen Ausdruck einer Saison geworden ist. Bei den Stilfragen aber handelt es sich um mehr.


6. Transformable Revers; 7. Französisches Phantasierevers à la Danton für Jagdjacketts

Die hier entscheidet ja nicht ein vorübergehendes Modediktat über die Form, sondern eine teils aus praktischen, teils aus ästhetischen Ansprüchen entwickelte Logik, durch die man für die Revers zunächst zu einer Einteilung in fünf Gruppen kommt. Deutlich unterscheiden sich da voneinander: die fallenden Revers, die steigenden Revers, die transformablen Revers, die Zwitterrevers und die Phantasie- oder Spezialrevers. Und alle diese fünf Gruppen haben nun wieder ihre verschiedenen Variationen. Selbst die an sich so einfach konstruierten fallenden Revers.
Je nachdem nämlich ihre Kanten eckig verlaufen oder abgerundet sind, spricht man hier jetzt von Kerb- oder Kurvenrevers (in der Damenmode "Cupidorevers"), wobei man jene mehr für die längeren Formen, diese mehr für die höher geschlossenen Sakkos vorsieht. Daneben hat sich dann das nur in der Taille geschlossene Dreiknopfjackett auch noch die Rollrevers reserviert. Und nicht ganz unwichtig ist bei den fallenden Revers auch der Winkelgrad, in dem sich Kragen und Aufschlag treffen. Denn für die Mayerlingform, die man jetzt - als Resonanz gewissermaßen auf die transformablen Kragen des modernen Norfolks - hier und da bei dem Einreiher zu sehen bekommt, schneidet man die Reverskerbe mit Überlegung nicht, wie vorwiegend beim Zweiknopfsakko, rechtwinklig, sondern spitzwinklig ein, was dann auch den Verlauf der Spiegelnaht beeinflußt. Sie bildet nun hier nämlich nicht die gestreckte Fortsetzung des unteren Kerbschenkels, sondern ist im sogenannten "Knizerevers" nch oben umgebrochen.


8. Englische Phantasierevers für den Campusstil

Beim zweireihigen Revers ist für die stilistische Bewertung in erster Linie wesentlich, daß Kragen und Spitze des Aufschlags tadellos aneinander passen, ohne jeden Zwischenraum. Die Spitzen dürfen andererseits auch nicht zu weit über die Kragenbreite hinausgehen. Und was ihren Neigungswinkel anbetrifft, so entscheidet hierüber die Knopffront des Sakkos, der sich bei einer Trapezstellung wie beim Kentsakko natürlich auch eine prononciertere Tendenz für seine Reversspitzen leisten kann, wie bei einer Knopfstellung, deren Basis ein Rechteck ist. Sehr wesentlich ist hier schließlich aber auch noch die Lage des Einschnitts. Ist sie zu hoch, wirkt das Revers maniriert, ist sie zu tief, so verstößt das gegen die Technik. Denn einigermaßen wenigstens sollte auch hier der Grundsatz gewahrt werden, daß die Länge des Kragens, soweit man nicht zu Phantasieformen übergeht, eigentlich bestimmt wird von der Halsgrube. Sehr nachdrücklich beachtet werden muß diese Forderung jedenfalls von den sogenannten transformablen Revers, also von dem Ulsterrevers, dem torsoartigen Sliponrevers und neuerdings auch dem schlanken "Campusrevers", denn hier soll ja gegebenfalls der Kragen überall geschlossen werden können, und da wäre es nicht nur ein Schönheitsfehler, sondern auch sinnlos, wenn der schließende Knopf infolge eines zu lang heruntergezogenen Kragens - wie man das häufig sieht - zu tief liegen würde. Das gilt auch für die POW-Revers, nämlich für die Revers des Tweedraglans in der Prince-of-Wales-Fasson, die sich, um vielseitiger verwendet werden zu können, zum einreihigen Schnitt Ulsterrevers zugelegt hat, in einer Zwitterform also, wie sie ähnlich auch für Revers des Ulsterpaletots üblich ist.


9. Bis zum Tascheneinschnitt laufende "Kentrevers"; 10. Steigende Revers in einreihiger Form (Cutrevers)

Denn um diesem Mantel eine Art Universalcharakter zu geben, dürfen seine Revers ja weder zu salopp noch zu elegant sein, weswegen man sie eben waagerecht einschneidet und den Aufschlag außerdem kaum über die Kragenbreite hinausgehen läßt. Das ist dann natürlich an sich eine Bastardfasson, aber da sie begründet ist, läßt man sie gelten. Ebenso wie jetzt ganz neuerdings die steigenden Revers beim einreihigen ungemusterten Tropical-Sakko mit aufgesetzten Taschen. Denn hier gilt es, einen Kompromiß zu schaffen zwischen sommerlicher Eleganz und dem farbenfreudigen, wenn auch undessinierten Beiwerk. Ein Fall allerdings, der schon in das Kapitel der Finessen gehört und ein bezeichnendes Beispiel dafür ist, daß man sich auch in der Herrenmode alles erlauben kann, wenn man es zu begründen vermag.


11. Ulsterrevers für zweireihige Mäntel; 12. Sogenannte P.O.W. Revers für einreihige Mäntel

Deshalb schreckt man denn bei den Revers jetzt auch keineswegs mehr von Phantasieformen zurück. Von ihnen aber profitieren natürlich nur die sportlichen Modelle, weil hier für die ungewohnten Konturen praktische Erwägungen maßgebend sind. Wie bei den Golfrevers mit der kleinen angeschnittenen Golflasche zum Hochschließen des Jacketts oder wie bei der modernen französischen Jagdjoppe, die ihrem sogenannten "Danton-Kragen" in einheitlichem Schnitt auch Reverscharakter gibt."


13. Waagerecht eingeschnittene Revers des Ulsterpaletots

c) Herrenjournal 2/1950


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