Dienstag, 30. September 2008

Auf Reisen: Der Travelsakko

Reisen im Anzug war im Vergleich zu heute vor 60 Jahren noch eine Selbstverständlichkeit. Aber nicht jeder Anzug schien den Autoren des Herrenjournals in den 50er Jahren gleichermaßen für die besonderen Ansprüche einer Reise geeignet. So steht der praktische Nutzen in der Gestaltung dieses Anzugs im Vordergrund. Dies zeigt vor allen Dingen der Hinweis auf die Verwendung von Rücken- und Seitenschlitzen, die in den 50er Jahren noch nicht so verbreitet waren wie heutzutage. Dem Beitrag beigefügt sind außerdem zwei Esquire-Abbildungen aus den 30er Jahren, die alternative Reisebekleidung zeigen.

"Der Travelsakko

Charakteristische Kennzeichen:

a) Einreihige Fasson in leicht sportlichem Stil mit fallenden Revers.

b) Zwei- oder dreiknöpfige Front mit schlicht aufgesetzten Taschen, die Brusttasche jedoch evtl. als Leistentasche oder mit schrägen Seitentaschen und Flaptasche.

c) Rücken neuerdings meist glatt aber mit langem Rückenschlitz oder Doppelschlitzen.

d) Beinkleid aus dem gleichen Stoff wie das Jackett im Gegensatz also zu den Anzügen kombinierter Art.

Fischgratdessins, Diagonalstoffe oder ganz modern Ton in Ton gehaltene, sich aus Treppenstufen zusammensetzende Schach- oder Waffelmuster entsprechen dem Charakter des Travelsakkos augenblicklich am meisten.

Material:

Vorwiegend Streichgarne in nicht zu sportlicher Qualität und mit nicht zu auffallenden Mustern. Am meisten gefragt in mittelbraunen Tönen.

Herkunft: 

Erste Modelle in dieser Art fanden sich als Reiseanzug bereits in der Mode von 1912. Sie wurden allerdings später durch den kombinierten Anzug verdrängt, erschienen dann aber in der Auslandsmode endgültig wieder zur Reisesaison 1947, nunmehr unter dem besonderen Gattungs-namen "Travelsakko".


Abbildung aus "Esquire", 30er Jahre
Verwendungsmöglichkeiten:

In erster Linie das Reisemilieu, wo der Travelsakko dem kombinierten Anzug gegenüber den Vorteil hat, daß man mit ihm einigermaßen "angezogen" wirkt, wenn man sich am Ziel der Fahrt abends noch in gepflegter Umgebung aufhalten will, ohne sich erst umkleiden zu müssen.

Passendes Beiwerk:

Hellgrundiges aber dezent gemustertes und dabei nicht so leicht schmutzendes Hemd, neuerdings am vorteilhaftesten mit sogenanntem Pin-Point-Kragen zu lebhafter Krawatte - leichte Cashmirweste - modernder Camber - Halfbrogues oder Fullbrogues."
(c) Herrenjournal, 4/1950


Wochenend-Ausflug auf's Land.  Abbildung aus "Esquire", 30er Jahre

Sonntag, 28. September 2008

Herrenjournal IV: Die Skala der Anzugstoffe

"Standardmuster in neuen Variationen

In allen Kollektionen für Anzugstoffe, die jetzt auf dem deutschen Markt erscheinen, ist der Wille zu erkennen, unbedingt wieder den Anschluß an die Weltmode herzustellen und sich dabei auch, ohne lediglich zu kopieren, auf einen guten eigenen Geschmack und den sooft bewiesenen Ideenreichtum zu stützen.
Nach der fast zehnjährigen Isolierung ist es selbstverständlich, daß die Produktion zunächst einmal, um wieder eine Basis zu schaffen, auf die bewährten Standardmuster zurückgreift. Auch schon deswegen, weil sie eine gewisse Zeitlosigkeit verbürgen. Und darauf kommt es in diesen Aufbaujahren den meisten Herren sicher ganz besonders an. Aber Standarddessins brauchen nun durchaus nicht des modischen Charakters zu entbehren. Durch die Wahl der Effekte, die Breite der Rapporte und geschickte Kombinierungen lassen sich hier, ganz abgesehen einmal von den Fondfarben, ja immer wieder Variationen herstellen, aus denen der Versierte genau den Jahrgang erkennt, ohne daß solch ein Stoff deswegen aber als modisch überholt betrachtet wird, wenn sich in den nächsten Saisons neuartige Ideen durchsetzen sollten.


Zweifellos die größte Konjunktur hat da gegenwärtig der Streifen, den man infolgedessen auch besonders vielseitig abwandelt. Fast allgemein aber geschieht dies in einer sehr dezenten Art. Denn in der Hauptsache dominieren hier die feinen Streifen, bei denen wieder die Nadelstreifen den Ton angeben. Da die ganze Tendenz darauf ausgeht, gegenwärtig Extreme zu vermeiden, hält sich auch der Rapport in normalen Grenzen. Jedenfalls ist hier eine Distanz von etwa Fingerbreite die Regel. Um Abwechslung zu schaffen, treten die Streifen - dann in unterschiedlicher Zusammensetzung - auch mehrspurig auf, begleitet von anderen Effektfarben oder abwechselnd mit solchen. Und dann schafft bei den Streifen häufig natürlich auch der Fond ein neues Bild, vornehmlich durch die heute so vielseitig modulierten Fischgratstrukturen oder die dezenten Perlmuster, die auf diese Weise - populär geworden als "Vogelaugen" oder Kaviardessins - von einem zeitlosen zu einem Saisondessin anvancieren.
So sind also die charakteristischen Muster der Anzugsmodelle alle wieder mit im Rennen, zumal man auch keineswegs auf die Glenchecks verzichten wird, die teilweise in neuen, interessanten Blockgruppen erscheinen und durch ihre Fenstereffekte auch wieder den Überkaros den Weg ebnen, die - in Ablösung mit Streifendurchzügen - aus irisierendem Körpergrund herausleuchten.
Am Horizont englische Phantasiemotive
Während sich nun in der Tuchindustrie die Mode mit den bewährten Dessins wieder stabilisiert, beginnt sich allmählich, von den britischen Inseln inspiriert, eine Tendenz anzukündigen, die auch dem Phantasiemuster einen Spielraum verschaffen will, vornehmlich natürlich für die zwanglose Kleidung. Am auffallendsten sind wohl hier, gegenüber der konservativen Richtung, die Flechtmotive, engmaschig ebenso wie ganz aufgelockert und dann mit Vogelaugen gefüllt. Nicht weniger bemerkenswert sind auch die Wabenmuster, besonders wenn sie zusammengesetzt sind aus verschieden getönten Blocks, so daß das Schema eines Schachbretts entsteht. Auch für dieses plädiert man jetzt nämlich wieder, indem man es entweder aus Gruppen von Vertikalen und Horizontalen aufbaut oder aus spinnwebähnlichen Fischgratquadraten. Und dann ist da auch noch eine Mustergruppe hervorzuheben, bei der man darauf ausgeht, dem Streifen neue Perspektiven zu eröffnen, angeregt zweifellos durch die waagerecht aufgeteilten Bahnen, die in der Hemdenmode als Bengalenstreifen klassische Ehren genießen.

Das farbige Tableau auf der rechten Seite gibt einen Überblick über die Struktur neuer englischer Anzugdessins, bei denen besonders allerlei Flechtmuster, Schachbrettmotive und Überkaros auf verschiedenstem Fond auffallen.

Bei den sportlichen Stoffen zeigen die Kollektionen neben Noppendessins und einem kleingemusterten Flechtfond Hahnentrittmotive in den verschiedensten Größen, treppenartige Diagonalbindungen und oft recht kräftige Fischgräten, deren farbige Effekte als Horizontalstreifen erscheinen. Dabei finden sich alle Farben vom gründurchsetzten Zitronengelb über Marineblau und Rot bis zur Auberginefarbe.


Die Farbpalette


Wie man das schon vor dem Kriege gehalten, schaltet man auch jetzt wieder in der Anzugmode keine der herrenmäßigen Grundfarben aus. Aus einer gewohnheitsmäßigen Einstellung finden dabei zwar die grauen Töne nach wie vor die meisten Anhänger - nicht zuletzt, weil man bei ihnen die wenigsten farblichen Schwierigkeiten mit dem Beiwerk hat -, kaum weniger Bedeutung haben heute aber die braunen Nuancen vom Mönchsbraun über das warme braune "Tudorrot" zum "Safaribeige" in Tropicals und neuerdings auch in zusammengesetzten Tönen, wie sie das Britische Colour Council für das Jahr 1950 befürwortet: In einer "Heidekrautmischung" etwa und dann ganz besonders auch in den exklusiven Färbungen von Blau, bei dem es Legierungen mit Rot gibt und bei denen für die kommende Saison ebenso eine Rollen spielen: das sogenannte "Universitätsblau", "Tintenblau", "Kommandeurblau" und "Atlantikblau". Und sehr loyal ist man im Ausland heute auch gegen die grünen Stoffe, vor denen der Deutsche immer eine gewisse Ängstlichkeit empfunden hat. Für den Universalanzug sind sie natürlich nichts. Hat man sich aber bei seiner Garderobe wieder eine gewisse Basis geschaffen, dann gibt es hier für den individuellen Geschmack sehr aparte Töne vom sportlichen Gelbgrün und Schottischgrün bis zum distinguierten Lovat."
Herrenjournal, 1/1950

Freitag, 26. September 2008

Herrenjournal III: Variationen zwischen USA-Front und Kent-Fasson

"Die Geschichte des modernen Zweireihers setzt ein: Ungefähr gegen Ende der zwanziger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt nämlich stellte man fest, daß der Ausschnitt dieses Sakkos nicht mehr der Mode entsprach. Viel zu hoch überschnitten sich seine Revers, und so war hier fast gar nichts zu sehen von der Hemdbrust, und auch die Krawatte kam dabei, wenn es sich um breite Streifen, schöne Ornamente oder größere Karos handelte, nur sehr ungenügend zur Geltung. Da das Beiwerk damals aber zum ersten Male eine primäre Rolle in der Anzugszusammenstellung einnahm, war es ganz selbstverständlich, daß man ihm auch beim Zweireiher zu seinem Recht verhelfen mußte.

Werbeanzeige aus den 20er Jahren - (c) Hart, Schaffner & Marx


Und so begann man also an den Revers herumzukorrigieren. Zunächst einmal, indem man sie aushöhlte, die Hemdbrust also konisch von ihnen umranden ließ. Nur minimal aber wurde der Ausschnitt dadurch erweitert. Und so kam man denn in Paris auf die nun sehr naheliegende Lösung, einfach den obersten Schließknopf tiefer zu setzen, wodurch dann auch die Revers gestreckter wurden und folglich auch ihr Ausschnitt mehr von Hemd und Krawatte hergeben konnte. Aber dieses Modell hatte, optisch gesehen, einen Schönheitsfehler. Das unterste Knopfpaar lag nun unter der Höhe des Tascheneinschnittes, und das ergab bei dem damals verhältnismäßig kurzen Jackett eine unbefriedigende Proportion.

Auch in England hatte man sich mit diesem Problem befaßt, und hier kam man nun sehr bald auf den richtigen Weg. Ähnlich wie beim Einreiher ließ man jetzt nämlich auch beim Zweireiher einfach den oberen Schließknopf überrollen. Dadurch hatten die Revers bis zum Tascheneinschnitt Spielraum und ein großer Rahmen stand nun den immer interessanter werdenden Hemdstoffen und den dekorativen Langbindern zur Verfügung.

Offiziell anerkannt war dann dieses Modell, als sich grundsätzlich auch der elegante Herzog von Kent zu ihm bekannt, so daß der "Kentzweireiher" bald ein Begriff in der internationalen Herrenmode wurde.

Aber dann kam der Krieg, und als nach dem Waffenstillstand allmählich auch die Herrenmode wieder auflebte, da hatte diese elegante Sakkofront einen gewichtigen Konkurrenten erhalten.



Angesichts ihrer politischen Machtposition wollten nun, bei allem Respekt vor dem Hof von St. James und seiner distinguierten Herrenklasse, auch die Amerikaner ein Wort in der Mode mitreden.

Und so ging von ihnen eine starke Propaganda aus für einen neuen zweireihigen Typ, bei dem wiederum, wie einst in Paris, das untere Knopfpaar tiefer lag als der Tascheneinschnitt. Da aber gleichzeitig auch das Jackett eine größere Länge erhalten hatte, die Taille überdies nur noch angedeutet war und die Silhouette sich fast trapezartig verjüngte, war diese USA-Front, wie man diese Fasson recht bald überall nannte, ästhetisch durchaus einwandfrei. Zumal, wenn die unteren Knöpfe das "Gesetz von den Beziehungen zwischen Knöpfen und Taschen" respektieren. Danach mußte das untere Knopfpaar in Höhe der unteren Taschenpatte liegen. Verzichtete man jedoch auf diese, so hatte die Verlängerung des Tascheneinschnittes den Höhenabstand der beiden unteren Kopfpaare zu halbieren. Wie man das besonders in Schweden liebte, wo man beim Zweireiher jetzt die blinden Knöpfe fortließ und dadurch dann eine ganz neue Front erhielt, die man als "Svenskamodell" registrierte.

In der ganzen Nachkriegszeit hat nun diese Tiefknopfstellung die Konturen der Zweireiher bestimmt. Lediglich in England hat man sich um sie wenig gekümmert. Denn hier stand man auf dem Standpunkt, daß der Wunsch nach einem tiefen Ausschnitt von dem "Kentzweireiher" noch weit besser berücksichtigt worden sei, da bei ihm ja die Revers eine noch größere Länge hätten. Und als man dann anfing, die Sakkos wieder etwas mehr zu kürzen, und dadurch die Proportionen für die USA-Front wieder ungünstiger wurden, befestigte der englische Zweireiher erneut seine Stellung unter den modischen Modellen. Und sogar eine interessante Variante gibt es jetzt hier. Auch der Abstand des mittleren Knopfpaares wird nun hier und da, weil es ja nicht mehr geknöpft wird, etwas auseinandergezogen, und zwar so weit, daß es auf derselben Linie liegt, die die obersten mit den unteren Knöpfen verbinden würde. Dadurch entsteht dann eine reine Trapezfront, die dem Zweireiher zweillos einen neuen Charakter gibt.

Unter diesem Aspekt kehrt dann bei den zweireihigen Sakkos auch die Fasson wieder zurück, die man vor dem Kriege als "Smokingfront" von dem zweireihigen "Dinnerjackett" übernommen. Und zwar in zwei Variationen. Einmal in Anlehnung an die USA-Front, von der man nur das untere Knopfpaar kassiert hat. Dann aber - um eine Nuance moderner (s. S. 25) - auch mit dem unteren Knopfpaar in Höhe des Tascheneinschnittes, genau wie beim "Kentsakko", dessen Idee sich somit bei dem eleganten Zweireiher augenblicklich wieder dominierend durchgesetzt hat."


(c) Herrenjournal, 1/1950



Die Goldenen Zwanziger

So sah man in den 50er Jahren die Mode der Goldenen Zwanziger. Schick waren sie ja damals, in den roaring twenties...

(c) Herrenjournal, 1/1950

Donnerstag, 25. September 2008

Herrenjournal II: Der Einreiher ist wieder Favorit

"Seit etwa einem Jahr hat sich bei den korrekten Stadtsakkos, die sich die letzten Jahre hindurch mit Vorliebe an die zweireihige Form hielten, allmählich wieder der Einreiher in den Vordergrund geschoben. Zunächst noch ohne Anspruch darauf, auch einmal wieder als offizieller Anzug gewertet zu werden. Denn in den USA entschied man sich hauptsächlich immer deswegen für ihn, weil man bei ihm besser als beim Zweireiher die für die Neue Welt charakteristischen, so phantasievollen, großgemusterten Krawatten zur Geltung bringen konnte. Ihretwegen wurde bei ihm auch der Ausschnitt so tief gehalten wie nur möglich und die Revers bis zur Taille gestreckt, so daß die zweiknöpfige Front die Norm wurde. In diesem Schnitt erlangte der einreihige Anzug drüben bald eine so große Popularität, daß man ihn gewissermaßen zum "Weltsakko Nr. 1" erklären konnte.
Dies um so mehr, weil der Einreiher in dieser Form inzwischen immer häufiger auch auf dem Kontinent wieder in Erscheinung trat. Hier war es vor allem Paris, das sich für ihn interessierte. Aus einem anderen Grunde aber als die Yankees. Denn dem Bonvivant der Seinestadt gab dieser Sakko die Möglichkeit, erneut in der Anzugszusammenstellung auch die Phantasieweste mitsprechen zu lassen, für die man dort von jeher ein Faible gehabt.

Beim Tageseinreiher bringt die Mode jetzt einen neuen Stil durch eine hochgeschlossene Fasson à la Meyerling

Und da gab es da noch einen anderen wichtigen Punkt, der auch dafür sprach, den Einreiher wieder stärker konkurrieren zu lassen mit dem Zweireiher: Für das Dinnerjackett hatte man sich inzwischen fast allgemein für die zweireihige Form entschieden, weil diese wegen der fehlenden attraktiven Weste für den zwanglosen Umlegekragen und die halbsteife Hemdbrust geeigneter war als der einreihige Smoking.
Um sich von dieser Smokingform möglichst wenig zu unterscheiden, wurde dann auch für den Gesellschaftssakko immer mehr der zweireihige Schnitt gewählt. So kam der Zweireiher vorübergehend zu einer unbedingten Vormachtsstellung, gegen die man sich aber allmählich aufzulehnen begann, weil sie eine gewisse Monotonie zur Folge gehabt hätte. Ihr begegnet man also nun durch eine stärkere Herausstellung des einreihigen Sakkos.



Ein neues Moment für den einreihigen Sakko bringt die sogenannte "Flaptasche". Sie harmoniert besonders gut mit der nun auch wieder hochgeschlossenen Front.

Mit dem gesteigerten Interesse an ihm kam natürlich nun auch der Wunsch auf, hier nach Möglichkeit zu variieren, und so fand sich bald unter den neuen Modellen der einreihigen Sakkos nicht nur die Fasson mit steigendem Revers, die man lange Zeit hindurch nur noch bei dem als Cutersatz dienenden Jackett gesehen, sondern auch - als Reagenz auf die Tiefknopffront - der oben geschlossene Dreiknopfsakko mit kurzem Revers; in Anlehnung an die Mode der achtziger Jahre, an diese Zeit, als man sich in der Herrenmode vielfach nach Wien richtete, wo der elegante Kreis der aristokratischen Lebemänner um den Thronfolger den Ton angab. Man hatte nämlich jetzt in Paris die Tragödie dieses Habsburgers mit der schönen Baronesse Vetsera auf die Bühne gebracht und durch den Erfolg, den das Stück von Jean Barré erzielt, entdeckte man nun auch, in Parallelität mit der Damenmode, sein Herz für diese sonst so unbeschwerte Zeit, indem man die damalige Anzugstendenz wieder aufleben ließ in einem Sakko à la Mayerling, genannt nach jenem unseligen Ort, wo das berühmte Liebespaar auf eine bisher noch immer unaufgeklärte Weise ums Leben gekommen.



Person rechts: An die Zweiknopffront (hier mit "Kerbrevers" à la Knize) hält man sich heute hauptsächlich dann, wenn man die Weste - in diesem Falle aus Kamelhaarmaterial gestrickt - zur Geltung kommen lassen will.

Person links: Eine neue Variante des "Paddockstils", das Modell eines Londoner Westendschneiders, mit steigendem Revers, schrägen Taschen und Ärmelaufschlägen."

(c) Herrenjournal, 1/1950

Herrenjournal I: Der hellgraue Flanellzweireiher

Dieser Beitrag startet die Serie "Herrenjournal", in der die besten Artikel, die dieses vom Freiherr von Eelking aufgelegte Magazin in den 30er und 50er Jahren zu bieten hatte, neu aufbereitet dem geneigten Leser präsentiert werden. Viele Beiträge des Herrenjournals sind nicht nur zeitgeschichtlich betrachtet eine reiche Quelle, sondern aufgrund ihrer Zeitlosigkeit auch heute von hohem informativen Wert. Den Einstieg macht dieser Beitrag aus dem Herrenjournal Nr. 5 von 1950:

Der hellgraue Flanellzweireiher

Immer zweireihig - Fünf verschiedene Fronten - Halbsportlich, aber auch korrekt - Viele Möglichkeiten für das Beiwerk.


Es gibt kaum einen Anzug, der so zu einem festen Bestand in der Garderobe jedes gut equipierten Europäers oder Amerikaners geworden ist wie der graue, helle Flanellsakko. Gut und gerne zwei Jahrzehnte lang behauptet er diese Position. Natürlich hat es - wie auch heute - nie an Versuchen gefehlt, ihm diesen Rang streitig zu machen, durch sommerlicher wirkende Stoffe, durch Panamas oder Freskos etwa oder durch effektvolle Dessins, die der Tagesmode entsprechen. Aber obwohl man sich bei diesem Material dann auch bewußt an ganz helle graue Töne gehalten, sind solche Sakkos doch bisher noch niemals ein vollwertiger Ersatz des grauen Flanellanzugs geworden. Und das hat denn auch seinen Grund. Er ist nämlich einmal so zeitlos wie man sich das nur denken kann, außerdem aber läßt er fast alle Möglichkeiten für das Beiwerk zu. Natürlich besticht das. Würde man bei ihm auf irgendein Stoffmuster Rücksicht nehmen müssen, so wäre das auch nicht annähernd der Fall. Und auch bei anderer Farbauswahl könnte man in keiner Weise gleich großzügig mit den Attributen operieren und den Anzug dann auch nicht entsprechend vielseitig verwenden. So ist es begreiflich, daß der graue Flanellanzug zu einer Popularität gekommen, die trotz aller etwa ablenkenden Modeparolen nicht zu erschüttern ist und nur verglichen werden kann mit der Rolle des ungemusterten blauen Kammgarnzweireihers, der aus der Wilhelminischen Epoche heraus als eiserner Bestand in der Garderobe des Herren in die zwanziger Jahre mithinübergenommen wurde.


Am meisten ist die Stellung des grauen Flanellanzuges dadurch befestigt worden, daß man sich in den nordischen Ländern, nachdem man ihn schätzen gelernt, bei ihm nicht einmal an die Saison gehalten, für die man ihn nach seinem hellen Ton zunächst bestimmt hatte. Für den Mitteleuropäer war das etwas Ungewöhnliches. Er konnte da noch gar nicht von der Vorstellung loskommen, daß man einen so sommerlich wirkenden Anzug auch an kalten Tagen tragen könnte. Aber in der Folgezeit hat man dann - wobei besonders das Beispiel der Schweden viel beitrug - gelernt, diese Auffassung zu korrigieren. Und das war dann erneut ein großes Plus für diesen Sakkotyp, auch wenn man von dieser Lizenz, die die Mode ihm großzügig für den Winter erteilt, abgesehen von Skandinavien und Großbritannien nur bedingt Gebrauch machte. Auf jeden Fall aber ist immer, wenn die Sonnentage zunehmen, Jahr für Jahr auch der graue Flanellanzug mit dabei, obwohl er schon lange nicht mehr besonders erwähnt wird, wenn von der neuen Kollektion die Rede ist. Mit einer fast nachtwandlerischen Intuition greift eben der modesichere Mann doch stets auf ihn zurück, allen Verlockungen der Nouveautés zum Trotz. Und daran wird sich wahrscheinlich auch noch lange nichts ändern.



Bei einer so lang anhaltenden konservativen Einstellung gegenüber einem und demselben Stoff müßte man eigentlich annehmen, daß die Mode dann wenigstens bemüht gewesen wäre, hier durch möglichst verschiedene Modelle für Abwechslung zu sorgen. Aber auch das ist nur sehr bedingt geschehen. Denn von dem Augenblick an, in dem man sich zuerst für diesen Flanellanzug interessiert, ist auch nicht ein einziges Mal die Rede gewesen von einer einreihigen Fasson. Immer war es die doppelreihige Front, die man gewählt, wenngleich auch mit all den Variationen, die sich hier als gleichberechtigt durchgesetzt haben und für die allein der persönliche Geschmack entscheidend ist. Ob man es da mit der tiefen Knopfstellung nach Art der USA-Sakkos hält oder das ganz neue "Sechsertrapez" vorzieht, fällt jedenfalls kaum nennenswert ins Gewicht. Nur eins gilt es hier genauer zu überlegen: Soll der Flanellanzug aufgesetzte Taschen haben oder nicht? Das nämlich ist ausschlaggebend für seine Verwendungsmöglichkeiten und wird damit auch zur Stilfrage. Denn an das Beiwerk eines als Klubzweireiher gearbeiteten Jacketts ist natürlich ein anderer Maßstab anzulegen als an einen Sakko ohne jede sportliche Note.
Zum Ausdruck ist dieser Unterschied besonders gekommen, als man entdeckte, daß man den grauen Flanellanzug, wenn man sich bei ihm an den korrekten Schnitt hielt, sehr wohl auch mit einem so seriösen Hut, wie dem schwarzen Homburg kombinieren kann. Und zwar in einer Zusammenstellung, die zunächst etwas abwegig erscheint, dafür aber ihren besonderen Reiz hat. Als ein Hut, der in der letzten Zeit typisch geworden ist für das "Dinnerjackett" steht dieser "Eden" natürlich jedem Versuch, ihm ein anderes Hemd als das weiße und eine andere Krawatte als eine schwarze zu attachieren, skeptisch gegenüber. An sich wäre in dieser Beziehung auch bei dem grauen Flanellanzug, der dann besonders seriös wirken kann, nichts einzuwenden, vorausgetzt, daß man nicht auf einen steifen weißen Kragen verfällt, der dem Flanell widerspricht und daß man in dem schwarzen Langbinder irgendeinen bescheidenen farbigen Effekt sehen läßt. Aber das wäre dann immer noch die Regel. Die Mode ist jedoch nun einmal immer dann am interessantesten, wenn sie sich - natürlich unter Wahrung des guten Geschmacks - zu einem Seitensprung von der Konvention entschließt. Und in diesem Fall hat sich da nun das lachsfarbene, durch seinen versteiften Kragen immer distinguiert wirkene Hemd als Partner des schwarzen, aber nicht eingefaßten Hutes ausgedacht, mit der Bedingung, daß man ihm für diese Konzession ein durchaus ebenbürtiges Pendant zur Verfügung stellt in einem schwarzgrundigen Langbinder.


Das ergibt dann - vom Abend abgesehen - einen Anzugstyp mit geradezu gesellschaftlichen Qualitäten, als Endkombination in einer Anzugsgattung, der zur Verfügung stehen alle Formen und Farben des weichen Filzhutes, alle Strohhutmodelle und Mützen, alle Hemdendessins in jedem Ton, lebhafte Krawatten ebenso wie seriöse Schleifen und auch Schuhe in allen Formen und aus allen Lederarten, so daß man sich, besonders für die Reisezeit, wirklich keinen besseren Standardanzug denken kann als eben den grauen Flanellzweireiher.

Über die Folgen der Anonymität

"[...] Nun kommt das Aber, das große Aber der perikleischen Zeit. Aber als Masse hatten sie [die Athener] sich verändert. Früher war man eine Art Burggemeinschaft gewesen, ein stabiles Gefüge; jetzt war man eine Großstadt, mit einem riesigen Proletariat, labil, unüberschaubar, anonym. Wo einst der Schuster in der Gasse gesessen und die Sandalen des Herrn Kleophanes oder Psephon genäht hatte, da saßen jetzt zehn Gesellen wie an einem Fließband; der eine schnitt nur noch die Sohlen zu, der andere die Riemen, der dritte nähte, der vierte färbte die Schuhe ein, der fünfte trug sie zum Markt. Den Schuh hatte 'niemand' gemacht, so wie nun auch die Politik 'niemand' gemacht hatte. Und keiner erfuhr je, wer den Schuh trug. Man lieferte dem Meister kein Werk mehr, man lieferte ihm Arbeitsstunden. Man wohnte auch nicht mehr bei ihm; man empfing seinen Lohn und ging."

Joachim Fernau über die Gründe des Niedergangs des perikleischen Athens aus "Rosen für Apoll"

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