"Standardmuster in neuen Variationen
In allen Kollektionen für Anzugstoffe, die jetzt auf dem deutschen Markt erscheinen, ist der Wille zu erkennen, unbedingt wieder den Anschluß an die Weltmode herzustellen und sich dabei auch, ohne lediglich zu kopieren, auf einen guten eigenen Geschmack und den sooft bewiesenen Ideenreichtum zu stützen.
Nach der fast zehnjährigen Isolierung ist es selbstverständlich, daß die Produktion zunächst einmal, um wieder eine Basis zu schaffen, auf die bewährten Standardmuster zurückgreift. Auch schon deswegen, weil sie eine gewisse Zeitlosigkeit verbürgen. Und darauf kommt es in diesen Aufbaujahren den meisten Herren sicher ganz besonders an. Aber Standarddessins brauchen nun durchaus nicht des modischen Charakters zu entbehren. Durch die Wahl der Effekte, die Breite der Rapporte und geschickte Kombinierungen lassen sich hier, ganz abgesehen einmal von den Fondfarben, ja immer wieder Variationen herstellen, aus denen der Versierte genau den Jahrgang erkennt, ohne daß solch ein Stoff deswegen aber als modisch überholt betrachtet wird, wenn sich in den nächsten Saisons neuartige Ideen durchsetzen sollten.
Zweifellos die größte Konjunktur hat da gegenwärtig der Streifen, den man infolgedessen auch besonders vielseitig abwandelt. Fast allgemein aber geschieht dies in einer sehr dezenten Art. Denn in der Hauptsache dominieren hier die feinen Streifen, bei denen wieder die Nadelstreifen den Ton angeben. Da die ganze Tendenz darauf ausgeht, gegenwärtig Extreme zu vermeiden, hält sich auch der Rapport in normalen Grenzen. Jedenfalls ist hier eine Distanz von etwa Fingerbreite die Regel. Um Abwechslung zu schaffen, treten die Streifen - dann in unterschiedlicher Zusammensetzung - auch mehrspurig auf, begleitet von anderen Effektfarben oder abwechselnd mit solchen. Und dann schafft bei den Streifen häufig natürlich auch der Fond ein neues Bild, vornehmlich durch die heute so vielseitig modulierten Fischgratstrukturen oder die dezenten Perlmuster, die auf diese Weise - populär geworden als "Vogelaugen" oder Kaviardessins - von einem zeitlosen zu einem Saisondessin anvancieren.
So sind also die charakteristischen Muster der Anzugsmodelle alle wieder mit im Rennen, zumal man auch keineswegs auf die Glenchecks verzichten wird, die teilweise in neuen, interessanten Blockgruppen erscheinen und durch ihre Fenstereffekte auch wieder den Überkaros den Weg ebnen, die - in Ablösung mit Streifendurchzügen - aus irisierendem Körpergrund herausleuchten.
Am Horizont englische Phantasiemotive
Während sich nun in der Tuchindustrie die Mode mit den bewährten Dessins wieder stabilisiert, beginnt sich allmählich, von den britischen Inseln inspiriert, eine Tendenz anzukündigen, die auch dem Phantasiemuster einen Spielraum verschaffen will, vornehmlich natürlich für die zwanglose Kleidung. Am auffallendsten sind wohl hier, gegenüber der konservativen Richtung, die Flechtmotive, engmaschig ebenso wie ganz aufgelockert und dann mit Vogelaugen gefüllt. Nicht weniger bemerkenswert sind auch die Wabenmuster, besonders wenn sie zusammengesetzt sind aus verschieden getönten Blocks, so daß das Schema eines Schachbretts entsteht. Auch für dieses plädiert man jetzt nämlich wieder, indem man es entweder aus Gruppen von Vertikalen und Horizontalen aufbaut oder aus spinnwebähnlichen Fischgratquadraten. Und dann ist da auch noch eine Mustergruppe hervorzuheben, bei der man darauf ausgeht, dem Streifen neue Perspektiven zu eröffnen, angeregt zweifellos durch die waagerecht aufgeteilten Bahnen, die in der Hemdenmode als Bengalenstreifen klassische Ehren genießen.
Das farbige Tableau auf der rechten Seite gibt einen Überblick über die Struktur neuer englischer Anzugdessins, bei denen besonders allerlei Flechtmuster, Schachbrettmotive und Überkaros auf verschiedenstem Fond auffallen.
Bei den sportlichen Stoffen zeigen die Kollektionen neben Noppendessins und einem kleingemusterten Flechtfond Hahnentrittmotive in den verschiedensten Größen, treppenartige Diagonalbindungen und oft recht kräftige Fischgräten, deren farbige Effekte als Horizontalstreifen erscheinen. Dabei finden sich alle Farben vom gründurchsetzten Zitronengelb über Marineblau und Rot bis zur Auberginefarbe.
Die Farbpalette
Wie man das schon vor dem Kriege gehalten, schaltet man auch jetzt wieder in der Anzugmode keine der herrenmäßigen Grundfarben aus. Aus einer gewohnheitsmäßigen Einstellung finden dabei zwar die grauen Töne nach wie vor die meisten Anhänger - nicht zuletzt, weil man bei ihnen die wenigsten farblichen Schwierigkeiten mit dem Beiwerk hat -, kaum weniger Bedeutung haben heute aber die braunen Nuancen vom Mönchsbraun über das warme braune "Tudorrot" zum "Safaribeige" in Tropicals und neuerdings auch in zusammengesetzten Tönen, wie sie das Britische Colour Council für das Jahr 1950 befürwortet: In einer "Heidekrautmischung" etwa und dann ganz besonders auch in den exklusiven Färbungen von Blau, bei dem es Legierungen mit Rot gibt und bei denen für die kommende Saison ebenso eine Rollen spielen: das sogenannte "Universitätsblau", "Tintenblau", "Kommandeurblau" und "Atlantikblau". Und sehr loyal ist man im Ausland heute auch gegen die grünen Stoffe, vor denen der Deutsche immer eine gewisse Ängstlichkeit empfunden hat. Für den Universalanzug sind sie natürlich nichts. Hat man sich aber bei seiner Garderobe wieder eine gewisse Basis geschaffen, dann gibt es hier für den individuellen Geschmack sehr aparte Töne vom sportlichen Gelbgrün und Schottischgrün bis zum distinguierten Lovat."
Herrenjournal, 1/1950
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen