Donnerstag, 25. September 2008

Herrenjournal II: Der Einreiher ist wieder Favorit

"Seit etwa einem Jahr hat sich bei den korrekten Stadtsakkos, die sich die letzten Jahre hindurch mit Vorliebe an die zweireihige Form hielten, allmählich wieder der Einreiher in den Vordergrund geschoben. Zunächst noch ohne Anspruch darauf, auch einmal wieder als offizieller Anzug gewertet zu werden. Denn in den USA entschied man sich hauptsächlich immer deswegen für ihn, weil man bei ihm besser als beim Zweireiher die für die Neue Welt charakteristischen, so phantasievollen, großgemusterten Krawatten zur Geltung bringen konnte. Ihretwegen wurde bei ihm auch der Ausschnitt so tief gehalten wie nur möglich und die Revers bis zur Taille gestreckt, so daß die zweiknöpfige Front die Norm wurde. In diesem Schnitt erlangte der einreihige Anzug drüben bald eine so große Popularität, daß man ihn gewissermaßen zum "Weltsakko Nr. 1" erklären konnte.
Dies um so mehr, weil der Einreiher in dieser Form inzwischen immer häufiger auch auf dem Kontinent wieder in Erscheinung trat. Hier war es vor allem Paris, das sich für ihn interessierte. Aus einem anderen Grunde aber als die Yankees. Denn dem Bonvivant der Seinestadt gab dieser Sakko die Möglichkeit, erneut in der Anzugszusammenstellung auch die Phantasieweste mitsprechen zu lassen, für die man dort von jeher ein Faible gehabt.

Beim Tageseinreiher bringt die Mode jetzt einen neuen Stil durch eine hochgeschlossene Fasson à la Meyerling

Und da gab es da noch einen anderen wichtigen Punkt, der auch dafür sprach, den Einreiher wieder stärker konkurrieren zu lassen mit dem Zweireiher: Für das Dinnerjackett hatte man sich inzwischen fast allgemein für die zweireihige Form entschieden, weil diese wegen der fehlenden attraktiven Weste für den zwanglosen Umlegekragen und die halbsteife Hemdbrust geeigneter war als der einreihige Smoking.
Um sich von dieser Smokingform möglichst wenig zu unterscheiden, wurde dann auch für den Gesellschaftssakko immer mehr der zweireihige Schnitt gewählt. So kam der Zweireiher vorübergehend zu einer unbedingten Vormachtsstellung, gegen die man sich aber allmählich aufzulehnen begann, weil sie eine gewisse Monotonie zur Folge gehabt hätte. Ihr begegnet man also nun durch eine stärkere Herausstellung des einreihigen Sakkos.



Ein neues Moment für den einreihigen Sakko bringt die sogenannte "Flaptasche". Sie harmoniert besonders gut mit der nun auch wieder hochgeschlossenen Front.

Mit dem gesteigerten Interesse an ihm kam natürlich nun auch der Wunsch auf, hier nach Möglichkeit zu variieren, und so fand sich bald unter den neuen Modellen der einreihigen Sakkos nicht nur die Fasson mit steigendem Revers, die man lange Zeit hindurch nur noch bei dem als Cutersatz dienenden Jackett gesehen, sondern auch - als Reagenz auf die Tiefknopffront - der oben geschlossene Dreiknopfsakko mit kurzem Revers; in Anlehnung an die Mode der achtziger Jahre, an diese Zeit, als man sich in der Herrenmode vielfach nach Wien richtete, wo der elegante Kreis der aristokratischen Lebemänner um den Thronfolger den Ton angab. Man hatte nämlich jetzt in Paris die Tragödie dieses Habsburgers mit der schönen Baronesse Vetsera auf die Bühne gebracht und durch den Erfolg, den das Stück von Jean Barré erzielt, entdeckte man nun auch, in Parallelität mit der Damenmode, sein Herz für diese sonst so unbeschwerte Zeit, indem man die damalige Anzugstendenz wieder aufleben ließ in einem Sakko à la Mayerling, genannt nach jenem unseligen Ort, wo das berühmte Liebespaar auf eine bisher noch immer unaufgeklärte Weise ums Leben gekommen.



Person rechts: An die Zweiknopffront (hier mit "Kerbrevers" à la Knize) hält man sich heute hauptsächlich dann, wenn man die Weste - in diesem Falle aus Kamelhaarmaterial gestrickt - zur Geltung kommen lassen will.

Person links: Eine neue Variante des "Paddockstils", das Modell eines Londoner Westendschneiders, mit steigendem Revers, schrägen Taschen und Ärmelaufschlägen."

(c) Herrenjournal, 1/1950

1 Kommentar:

  1. Sehr guter Bericht.

    Der Einreiher ist in der Tat ein zeitloses Kleidungsstück und wird kaum je seine Popularität verlieren.

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