Freitag, 26. September 2008

Herrenjournal III: Variationen zwischen USA-Front und Kent-Fasson

"Die Geschichte des modernen Zweireihers setzt ein: Ungefähr gegen Ende der zwanziger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt nämlich stellte man fest, daß der Ausschnitt dieses Sakkos nicht mehr der Mode entsprach. Viel zu hoch überschnitten sich seine Revers, und so war hier fast gar nichts zu sehen von der Hemdbrust, und auch die Krawatte kam dabei, wenn es sich um breite Streifen, schöne Ornamente oder größere Karos handelte, nur sehr ungenügend zur Geltung. Da das Beiwerk damals aber zum ersten Male eine primäre Rolle in der Anzugszusammenstellung einnahm, war es ganz selbstverständlich, daß man ihm auch beim Zweireiher zu seinem Recht verhelfen mußte.

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Und so begann man also an den Revers herumzukorrigieren. Zunächst einmal, indem man sie aushöhlte, die Hemdbrust also konisch von ihnen umranden ließ. Nur minimal aber wurde der Ausschnitt dadurch erweitert. Und so kam man denn in Paris auf die nun sehr naheliegende Lösung, einfach den obersten Schließknopf tiefer zu setzen, wodurch dann auch die Revers gestreckter wurden und folglich auch ihr Ausschnitt mehr von Hemd und Krawatte hergeben konnte. Aber dieses Modell hatte, optisch gesehen, einen Schönheitsfehler. Das unterste Knopfpaar lag nun unter der Höhe des Tascheneinschnittes, und das ergab bei dem damals verhältnismäßig kurzen Jackett eine unbefriedigende Proportion.

Auch in England hatte man sich mit diesem Problem befaßt, und hier kam man nun sehr bald auf den richtigen Weg. Ähnlich wie beim Einreiher ließ man jetzt nämlich auch beim Zweireiher einfach den oberen Schließknopf überrollen. Dadurch hatten die Revers bis zum Tascheneinschnitt Spielraum und ein großer Rahmen stand nun den immer interessanter werdenden Hemdstoffen und den dekorativen Langbindern zur Verfügung.

Offiziell anerkannt war dann dieses Modell, als sich grundsätzlich auch der elegante Herzog von Kent zu ihm bekannt, so daß der "Kentzweireiher" bald ein Begriff in der internationalen Herrenmode wurde.

Aber dann kam der Krieg, und als nach dem Waffenstillstand allmählich auch die Herrenmode wieder auflebte, da hatte diese elegante Sakkofront einen gewichtigen Konkurrenten erhalten.



Angesichts ihrer politischen Machtposition wollten nun, bei allem Respekt vor dem Hof von St. James und seiner distinguierten Herrenklasse, auch die Amerikaner ein Wort in der Mode mitreden.

Und so ging von ihnen eine starke Propaganda aus für einen neuen zweireihigen Typ, bei dem wiederum, wie einst in Paris, das untere Knopfpaar tiefer lag als der Tascheneinschnitt. Da aber gleichzeitig auch das Jackett eine größere Länge erhalten hatte, die Taille überdies nur noch angedeutet war und die Silhouette sich fast trapezartig verjüngte, war diese USA-Front, wie man diese Fasson recht bald überall nannte, ästhetisch durchaus einwandfrei. Zumal, wenn die unteren Knöpfe das "Gesetz von den Beziehungen zwischen Knöpfen und Taschen" respektieren. Danach mußte das untere Knopfpaar in Höhe der unteren Taschenpatte liegen. Verzichtete man jedoch auf diese, so hatte die Verlängerung des Tascheneinschnittes den Höhenabstand der beiden unteren Kopfpaare zu halbieren. Wie man das besonders in Schweden liebte, wo man beim Zweireiher jetzt die blinden Knöpfe fortließ und dadurch dann eine ganz neue Front erhielt, die man als "Svenskamodell" registrierte.

In der ganzen Nachkriegszeit hat nun diese Tiefknopfstellung die Konturen der Zweireiher bestimmt. Lediglich in England hat man sich um sie wenig gekümmert. Denn hier stand man auf dem Standpunkt, daß der Wunsch nach einem tiefen Ausschnitt von dem "Kentzweireiher" noch weit besser berücksichtigt worden sei, da bei ihm ja die Revers eine noch größere Länge hätten. Und als man dann anfing, die Sakkos wieder etwas mehr zu kürzen, und dadurch die Proportionen für die USA-Front wieder ungünstiger wurden, befestigte der englische Zweireiher erneut seine Stellung unter den modischen Modellen. Und sogar eine interessante Variante gibt es jetzt hier. Auch der Abstand des mittleren Knopfpaares wird nun hier und da, weil es ja nicht mehr geknöpft wird, etwas auseinandergezogen, und zwar so weit, daß es auf derselben Linie liegt, die die obersten mit den unteren Knöpfen verbinden würde. Dadurch entsteht dann eine reine Trapezfront, die dem Zweireiher zweillos einen neuen Charakter gibt.

Unter diesem Aspekt kehrt dann bei den zweireihigen Sakkos auch die Fasson wieder zurück, die man vor dem Kriege als "Smokingfront" von dem zweireihigen "Dinnerjackett" übernommen. Und zwar in zwei Variationen. Einmal in Anlehnung an die USA-Front, von der man nur das untere Knopfpaar kassiert hat. Dann aber - um eine Nuance moderner (s. S. 25) - auch mit dem unteren Knopfpaar in Höhe des Tascheneinschnittes, genau wie beim "Kentsakko", dessen Idee sich somit bei dem eleganten Zweireiher augenblicklich wieder dominierend durchgesetzt hat."


(c) Herrenjournal, 1/1950



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